Cölfen - Helmholtz Vorlesung November 2013
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Cölfen - Helmholtz Vorlesung November 2013
Ort
Kinosaal der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6

Prof. Dr. Helmut Cölfen
Lehrstuhl Physikalische Chemie I, Universität Konstanz spricht zum Thema:

Kristallisation mal ganz anders:
Von Biomineralien, Nanostrukturen und hohen Drehzahlen

Kristalle faszinieren die Menschheit seit jeher durch ihre beeindruckend strengen geometrischen Formen sowie durch ihr attraktives optisches Erscheinungsbild. Aufgrund ihrer Schönheit werden Kristalle bekanntlich als Schmuck verwendet, aber sie sind auch geologisch und in der belebten Natur von größter Bedeutung. Sie haben vielseitigste Anwendungen erfahren, von schlichten Baustoffen über verschiedenste physikalische Anwendungen in optischen, elektronischen oder magnetischen Bauteilen bis hin zu komplexen Phänomenen der nichtlinearen Optik, wie z. B. die Frequenzverdoppelung des eingestrahlten Lichts. Hier handelt es sich um eine Anwendung, die als grüner Diodenlaserpointer inzwischen gerne bei Vorträgen genutzt wird. Kristalle spielen also eine wesentlich größere Rolle in unserem Lebensalltag als wir ahnen.

Umso überraschender ist es, dass die Entstehung von Kristallen, trotz ihrer herausragenden Bedeutung und des damit verbundenen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interesses, bis heute, nach achtzig Jahren weltweiter intensiver Forschung, noch nicht vollständig aufgeklärt werden konnte. Das gilt insbesondere für die Kristallformen der belebten Natur, z. B. die Stacheln eines Seeigels.

Allerdings sind achtzig Jahre Forschung eine kleine Zeitspanne gegenüber den vielen Millionen von Jahren, in denen lebende Organismen ihre heutigen kristallinen Formen ausgebildet haben, wie Knochen, Zähne, Muschelschalen oder Algenskelette. Vergleicht man deren Strukturen mit dem Lehrbuchwissen über Kristallisation, dann erkennt man, dass das Wachstum dieser sogenannten »Biomineralien∑« damit nicht erklärt werden kann. Stattdessen spielen sogenannte »nichtklassische Kristallisationsvorgänge« eine Rolle, in der nicht Atome oder Ionen die kristalline Struktur aufbauen, sondern bereits vorgeformte Nanokristalle. Damit nutzt die Natur eine »Bottom up«-Strategie, die uns wichtige neue Ansätze zur Organisation nanostrukturierter Materie liefern kann.

Helmut Cölfen war der erste Wissenschaftler, der diese fundamentalen Unterschiede in den Kristallisationsmechanismen aufgezeigt und entsprechende Bildungsgesetze formuliert hat. Damit hat er das Verständnis der Entstehung von Biomineralien entscheidend gefördert und das Tor zu neuartigen Anwendungen geöffnet: man denke nur an den Neuaufbau von zerstörtem Zahn- oder Knochengewebe. Die Anwendung nichtklassischer Kristallisationsmechanismen ermöglicht aber auch die Synthese nanostrukturierter Materialien mit völlig neuartigen Eigenschaften.

Für diese Leistungen erhielt Helmut Cölfen bereits zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften für das Jahr 2013.

Der Vortrag wird anhand von Beispielen diese Grunderkenntnisse und vor allem ihre möglichen Anwendungen erläutern und dann darauf eingehen, welche experimentellen Verfahren den Weg zu diesen Erkenntnissen geebnet haben.

»Der Einfluss der Wissenschaften auf fast alle Lebensbereiche der Menschen steigt beständig und dennoch scheint der Gegensatz von immer abstrakter werdenden Wissenschaften und der Alltagsbildung vieler Menschen immer größer zu werden. Die Helmholtz-Vorlesungen bringen schwierige wissenschaftliche Sachverhalte in einer verständlichen Form – überzeugend und gleichzeitig unterhaltsam –einem breiten Publikum ohne fachspezifische Kenntnisse näher«, erläutert Bernhard Lorentz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stiftung Mercator die Motivation zur Förderung der Vorlesungsreihe.

Zum Thema:

  • Cölfen, H.; Antonietti, M., Mesocrystals and Nonclassical 
  • Crystallization. John Wiley & Sons: Chichester, 2008.