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GRRLT. Abseits der Norm

GRRLT. Abseits der Norm (Verlängerung der Ausstellung)

GRRLT. Abseits der Norm

Ausstellung zur Geschichte der »Gurltschen Missbildungssammlung«

DIE AUSSTELLUNG WURDE VERLÄNGERT BIS ZUM 30. JUNI 2018


Sie wurden systematisch beschrieben und in eine »Missbildungssammlung« eingeordnet. Sie wurden nach Arten klassifiziert und ihnen wurden Namen wie »kugelige Ungestalt«, »katzenköpfiger Zwerg« oder »Einauge« gegeben. Der Wissenschaftler Ernst Friedrich Gurlt sammelte im 19. Jahrhundert für seine Forschung Präparate von fehlgebildeten Tieren.

Die Beschäftigung mit dieser Sammlung wirft auch ethische Fragen auf. Denn der Anspruch des Forschers war es, nicht nur Tiere sondern auch Menschen mit Fehlbildungen in sein System der »Missbildungen« einzuordnen. Galten die Menschen damit als anormal, krank und missgebildet, konnte dies fatale Folgen für die Betroffenen haben. Klassifikationssysteme, die sich im 19. Jahrhundert herausgebildet haben, wirken mitunter bis heute fort. Die Ausstellung »GRRLT. Abseits der Norm« sucht nach einem wissenschaftshistorischen Zugang zu dieser Sammlung aus dem 19. Jahrhundert. Nicht die Biografie des Forschers, sondern die Geschichten der Objekte und des Wissens stehen im Fokus.

Eine filmische Installation vollzieht nach, wie der Forscher die Tierkadaver durch das Einordnen und Benennen zu wissenschaftlichen Objekten umdeutete. Weiter folgt die Ausstellung den Verstrickungen der Sammlung mit dem global-kolonialen Objekthandel, dem Streit um die Evolutionstheorie und der Allianz zwischen medizinischen Untersuchungen und populären Menschenschauen. In scheinbar nebensächlichen Notizen offenbaren sich in ergänzenden Hörstücken weitreichende Konsequenzen und Zusammenhänge zwischen Objekten, Personen und Institutionen der damaligen Zeit. Die Ausstellung offenbart in einem dritten Abschnitt die wechselvolle Geschichte der Objekte nach dem Tod des Forschers bis in die Gegenwart. Es scheinen Momente des Bedeutungsverlusts und der künstlerischen Eroberung auf. Der Blick auf den heutigen Ort und Gebrauch zeigt: Das Institut für Veterinär-Anatomie der Freien Universität Berlin in Dahlem bewahrt die Präparate und nutzt sie als Lehr- und Forschungsobjekte sowie als Zeugnisse der eigenen Institutionengeschichte.

Die »Gurltsche Missbildungssammlung« ist im Rahmen der Neustrukturierung der Berliner Wissenschaftslandschaft und damit auch der veterinärmedizinischen Forschung und Lehre nach 1990 von der Humboldt-Universität an die Freie Universität gekommen. »GRRLT. Abseits der Norm« präsentiert nun einen Teil der Objekte für die Ausstellungsdauer im Tieranatomischen Theater – an eben jenem Ort, an dem Gurlt in den 1820er Jahren seine Lehr- und Sammlungstätigkeit begonnen hatte.

Die ehemalige Stätte der Königlichen Tierarzneischule zu Berlin bietet heute Raum für experimentelle Ausstellungsforschung. Die Präsentation in einem der ehemaligen Präparierräume konfrontiert die historische mit der gegenwärtigen Nutzung dieses Ortes. Die Ausstellung sucht nach Wegen einer heutigen zeitgemäßen Auseinandersetzung anstelle historische Momente der Tierarzneischule zu rekonstruieren. Filminstallationen, Hörstücke und die gesamte Ausstellungsgestaltung stehen nicht nur in ästhetischem Kontrast zu den historischen Objekten und Archivalien; sie provozieren auch einen inhaltlichen Bruch mit Ernst Friedrich Gurlts wissenschaftlichen Annahmen aus dem 19. Jahrhundert. Das Denksystem wird in einer kritischen Distanz vermittelt, nicht lediglich nachgezeichnet. Nicht das Wissen über Natur, sondern die Kultur der Wissenschaften steht im Mittelpunkt der Ausstellung.

Die Ausstellung ist damit Teil der Bestrebungen an der Humboldt-Universität, aktuelle und ehemalige Sammlungen und die mit ihnen verbundenen Praktiken als historisch bedingte Kulturtechniken zu reflektieren und zu präsentieren.


Kuratorinnen der Ausstellung

Idee/Konzept/Wissenschaftliche Recherche: Mona Wischhoff

Filminstallation/Ausstellungsgestaltung: Sarah K. Becker

Projektmanagement/Leihverkehr/Audioguide: Alina Strmljan

Entwurf Ausstellungsmobiliar: Rosanna Wischhoff

Ausstellungsbau: Bernd-Michael Weisheit

Projektleitung: Jochen Hennig

Kurator Tieranatomisches Theater: Felix Sattler

Leihgaben und Faksimiles: Institut für Veterinär-Anatomie, Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin, Archiv Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Historische Sammlungen der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin

Hörstück: Interviews mit Nils Seethaler (Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte), Hana Hünigen und Janet Weigner (beide: Institut für Veterinär-Anatomie, Freie Universität Berlin), Esther Becker (Sprecherin), Sebastian Janata (Sounddesign und Editierung)

Ein Projekt des Basisprojektes »Mobile Objekte« des Exzellenzclusters »Bild Wissen Gestaltung« der Humboldt-Universität zu Berlin.

Die Realisierung dieser Ausstellung wurde unterstützt durch die großzügigen Spenden von Besucher_innen des Tieranatomischen Theaters.